Gedanken zur Freude

Gedanken zur Freude

„Uns ungehemmte Freude erlauben!“ So steht es im unserem Flyer. Das haben wir am 30.4.2017 am Walderlebniszentrum Sinzing vor, das habe ich selbst auf dem Flyer niedergeschrieben und heute wird mir klar: Das ist keine Ansage, das ist kein Versprechen, das ist ein Wunsch.

Ich kann das nämlich nicht besonders gut, bin kein Freudenexperte, wahrscheinlich nicht einmal ein Pionier, wie ich es mir durchaus bei Angst, Wut und Traurigkeit auf die Fahne schreiben würde. Freude ist da anders, aber warum? Vielleicht finden wir es ja zusammen heraus. Heute bleibt mir zunächst nur die Suche nach Indizien. Ja, ich will alle kleinen Hinweise sammeln über die Freude in mir, denn sie ist da irgendwo. Macht doch mit! Zuerst schreibe ich meinen Stream of Consciousness auf, meinen Bewusstseinsstrom an nicht enden wollenden Gedanken. Einzige Einschränkung: Es soll um das Thema Freude gehen. Also los:

Erster Gedanke: Musik löst etwas aus! Wahrscheinlich weil ich gerade Musik höre. Ob das Freude ist? Wohl eher Mischgefühle (ein paar Musiklinks: 1; 2; 3). Erinnerungen an Freude gibt es. Der erste Platz beim Jugend-Fußballturnier, damals sogar mit Freudentränen. Und da kommt tatsächlich Freude auf, mit feuchten Augen beim schreiben dieses Textes. Geht das so schnell? Ich bin verblüfft. Weitere Erinnerungen: An die glücklichen Menschen beim Abholtag in der Wechselwelt (Umsonstladen von Transition Regensburg) – die Freude beim Radfahren den Kapplberg hinunter, das war damals wie fliegen, im Sommer, in der warmen Luft – die Sommerferien – die erste Freundin – die Freude nach fünf Jahren Arbeit auf einem Doktorwagen mit meinen Kindern auf dem Schoß über den Campus gefahren zu werden – die Freude beim Abschlusstanz meiner Hochzeit (Lied 3 oben) – im Kreißsaal neues Leben in den Armen halten… Ich weine tatsächlich an meinem Schreibtisch? Es ist stille Freude, keine ekstatische, wilde, unbändige. Es kommen noch weitere Erinnerungen ans Tageslicht: die Erleichterung nach Prüfungen mir einer Fahrt zum See feiern und einen kleinen Geschmack von Freiheit erfahren zum Beispiel (ich habe zuerst ganz nach Freud „Freuheit“ geschrieben).

Hier halte ich ein und gehe noch einmal auf die Arten des Freuens ein, ohne jetzt Literatur zu wälzen. Spontan kam mir die Unterscheidung von stiller Freude und lauter, extrovertierter, ekstatischer Freude in den Sinn. Erstere fällt mir anscheinend viel leichter zu fühlen und zuzulassen. Das kann mit meinen Erfahrungen und Mustern zusammenhängen. Zum Beispiel ist mir in meiner Jugend des Öfteren die Freude, nach dem Prinzip „Übermut tut selten gut“ zum Verhängnis geworden. Sie war dann schnell mit Fahrradstürzen oder dergleichen verbunden. Da lernt man schnell sich weniger ausgelassen zu freuen um den Schmerz danach zu vermeiden. Die Amplitude der Lebenserfahrungen wird dadurch kleiner, die Ausschläge, sowohl nach unten als auch nach oben. Heute fordere ich diese Ausschläge wieder etwas heraus und lasse sie zu. Das macht Spaß und schließlich will ich meinen Kindern so wenig wie möglich einschränkende Muster vorleben.

Ja, vielleicht ist da doch ein kleines Freuden-Pionierchen in mir. Kurz noch zur ekstatischen Freude: Ich verwende das Wort „ekstatisch“ deshalb so oft, weil es mir irgendwie erstrebenswert erscheint, so ein etwas ekstatischeres Leben. Hier hat mich die Körperforscherin und Autorin Ilan Stephani angestachelt. Sie beschäftigt sich mit Ekstase, Hingabe und Ausgelassenheit beim Thema Sex und empfiehlt unbedingt zwei Schritte VOR der Hingabe zu beachten: Die Sicherheit und das Beschnuppern oder Herantasten. Beim Hören dieser Theorie habe ich diese sogleich gedanklich auf das ganze Leben ausgeweitet (Ich habe die Begriffe Hingabe und Ekstase hier etwas vermischt und begründe das jetzt unkommentiert und vielleicht etwas unsauber so: ohne Hingabe keine Ekstase). Zurück zur Ausweitung auf andere Lebensbereiche: Zum Beispiel die Arbeitswelt. In dieser wünsche ich mir, dass alle nur noch ihre Bestimmung und Berufung leben. In unseren Beziehungen wünsche ich mir so viel Sicherheit, dass wir uns alles sagen können und es keine Bewertungen und Verurteilungen gibt, sondern nur noch uneingeschränkte Authentizität. Und natürlich weite ich das auch auf unsere Gefühlsarbeit im Netzwerk Emotionskompetenz aus, wo es auch darum geht, sich zunächst sicher zu fühlen und genügend Zeit zu haben, um sich zum Beispiel darauf einzulassen, etwas aus seinem Inneren preiszugeben. Dafür ist ein Herantasten an echte, authentische und durchaus auch herausfordernde Subjekt-zu-Subjekt Begegnungen meiner Meinung nach unerlässlich.

Dieser Text ist jetzt, was mich sehr freut, ein Werkzeug für meine Sicherheit geworden. Ich zeige den Stand meiner Entwicklung, markiere damit mein Revier und zeige möglicherweise Anknüpfungspunkte. An diesen kann das Beschnuppern beginnen und dann wagen wir uns vielleicht ein Stück in Richtung ekstatische Freude. Oder wir lassen es sein. In jedem Fall danke fürs Lesen!